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Quelle / Resource
http://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/jur-zimmermann/LV_2010_2011/Koll_Radbruch_Aufsatz-SJZ_1946__105.pdf
Übersetzung ins Englische / Translation into English: Yaëlle Schlichting

Gustav Radbruch:

Gesetzliches Unrecht und Übergesetzliches Recht

Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 105-108

Gustav Radbruch:

Statutory Lawlessness and Supra-Statutory Law

Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 105-108

Der Positivismus hat in der Tat mit seiner Überzeugung »Gesetz ist Gesetz« den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts. Dabei ist der Positivismus gar nicht in der Lage, aus eigener Kraft die Geltung von Gesetzen zu begründen. Er glaubt, die Geltung eines Gesetzes schon damit erwiesen zu haben, daß es die Macht besessen hat, sich durchzusetzen. Aber auf Macht läßt sich vielleicht ein Müssen, aber niemals ein Sollen und Gelten gründen. Dieses läßt sich vielmehr nur gründen auf einen Wert,der dem Gesetz innewohnt. Freilich: einen Wert führt schon jedes positive Gesetz ohne Rücksicht auf seinen Inhalt mit sich: es ist immer noch besser als kein Gesetz, weil es zum mindestenRechtssicherheit schafft.

Positivism with its creed »Law is Law« indeed has made the German booth of Jurists defenseless against laws with arbitrary and criminal content. Though positivism is not able at all to justify the validity of laws out of its own power. It believes, a laws justification was already proofed since it had the power to establish itself. But maybe an obligation can be instituted on such power, but never an intrinsic ought and validity. In fact these two only can be established on the intrinsic value of the law. Of course every positive law carries a value regardless of its content: Still such a law is better than no law, since it creates stability of law.

Aber Rechtssicherheit ist nicht der einzige und nicht der entscheidende Wert, den das Recht zuverwirklichen hat. Neben die Rechtssicherheit treten vielmehr zwei andere Werte: Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit. In der Rangordnung dieser Werte haben wir die Zweckmäßigkeit des Rechts für das Gemeinwohl an die letzte Stelle zu setzen. Keineswegs ist Recht alles das, »was dem Volke nützt«, sondern dem Volke nützt letzten Endes nur, was Recht ist, was Rechtssicherheit schafft und Gerechtigkeit erstrebt. Die Rechtssicherheit, die jedem positiven Gesetz schon wegen seiner Positivität eignet, nimmt eine merkwürdige Mittelstellung zwischen Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit ein:sie ist einerseits vom Gemeinwohl gefordert, andererseits aber auch von der Gerechtigkeit

But stability of law is not the only and not the essential value to be materialized by a law. Besides stability of law two other values come into effect: Practicality and Justice. In their hierarchy of these values, we are to assign practicality of law to common welfare at the lowest position. By no means everything that is considered »to the advantage of the peoples«, but after all only what is lawful, establishes stability of law and strives for justice, will be to the advantage of the peoples. Stability of law, which every positive law posses due to its positivity takes a peculiar middle position between practicality and justice: On the one hand it is demanded by the common welfare, on the other hand also from the cause of justice.

Daß das Recht sicher sei, daß es nicht heute und hier so, morgen und dort anders ausgelegt und angewandt werde, ist zugleich eine Forderung der Gerechtigkeit. Wo ein Widerstreit zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, zwischen einem inhaltlich anfechtbaren, aber positiven Gesetz und zwischen einem gerechten, aber nicht in Gesetzesform gegossenen Recht entsteht, liegt in Wahrheit ein Konflikt der Gerechtigkeit mit sich selbst, ein Konflikt zwischen scheinbarer und wirklicher Gerechtigkeit vor. Diesen Konflikt bringt großartig das Evangelium zum Ausdruck, indem es einerseits befiehlt: »Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat«, und doch andererseits gebietet, »G'tt mehr zu gehorchen als den Menschen«.

The stability and reliability of law, that it is not today and here the one and tomorrow another interpretation and application, also is a requirement of justice. In case of conflict between stability of law and justice, between a substantially disputable, but positive law and a just but not written law, in truth lies a an inner conflict of justice, a conflict between alleged and true justice. This conflict is brilliantly depicted by the gospel, when it commands: »Be subordinated to the authorities« and contrariwise commands, »to obey to G-d before humans«.

Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als »unrichtiges Recht« der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch 'geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur »unrichtiges Recht«, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.

The conflict between justice and stability of law ought to be resolved by prioritizing a positive, through statute and power secured law, even if it is unjust and unpractical unless the contradiction of this positive law to justice reaches an unbearable extent, that such law has to give way to justice, as it is a distinguished »incorrect law«. It is impossible to draw a clearer line between the cases of statutory lawlessness and despite incorrect content still 'applicable law'; though by all its severity a different demarcation shall be taken: where justice is not even intended, where egality, which represents the core of justice intentionally has been denied when the it has been set, in such case, a law not only is »incorrect law«, it lacks every quality of law. For there is no other way to define law, also positive law, but as an order or statute which is intended to serve justice by its sense.

An diesem Maßstab gemessen sind ganze Partien nationalsozialistischen Rechts niemals zur Würde geltenden Rechts gelangt. Die hervorstechendste Eigenschaft in Hitlers Persönlichkeit, die von ihm aus auch zum Wesenszuge des ganzen nationalsozialistischen »Rechts« geworden ist, war sein völliger Mangel an Wahrheitssinn und Rechtssinn: weil ihm jeder Wahrheitssinn fehlte, konnte er dem jeweils rednerisch Wirksamen ohne Scham und Skrupel den Akzent der Wahrheit geben; weil ihm jeder Rechtssinn fehlte, konnte er ohne Bedenken die krasseste Willkür zum Gesetz erheben. Am Anfang seiner Herrschaft stand jenes Sympathie-Telegramm an die Potempa-Mörder, am Ende die grauenhafte Entehrung der Märtyrer des 20. Juli 1944. Schon anläßlich des Potempa-Urteils hatte Alfred Rosenberg im »Völkischen Beobachter« die Theorie dazu geliefert: Mensch sei nicht gleich Mensch, und Mord sei nicht gleich Mord; die Ermordung des Pazifisten Jaurès sei in Frankreich mit Recht anders bewertet worden als der Mordversuch an dem Nationalisten Clemenceau; ein Täter, der aus vaterländischen Motiven gefehlt hat, könne unmöglich derselben Strafe unterworfen werden, wie ein anderer, dessen Beweggründe sich (nach nationalsozialistischer Auffassung) gegen das Volk richten.

Measured at this criteria, whole batches of National Socialist law never gained the honor to be applicable law. The most outstanding property of Hitlers personality, the trait, he also affixed onto the whole National Socialistic law, was his total deprivation of any sense for truth and justice: Because he lacked every sense for truth, he had the ability to give the accent of truth to anything rhetorically effective without shame and scruple. Because his total deprivation of any sense for justice he had the ability to unscrupulously sign even the most blatant arbitrariness into law. At the beginning of his rule there is that telegram of sympathy addressed to the Potempa-murderers, at the end, the atrocious dishonoring of the martyrs of July 20th 1944. Already on the occasion of the Potempa-Rule, Alfred Rosenbert in »Völkischen Beobachter« furnished the theory, that human does not equal human and murder does not equal murder; The murder of the pacifist Jaurès lawfully has been rated differently, in France than the attempted murder to the nationalist Clemenceau; a perpetrator who failed in dedication for his country, impossibly can subjected to the same punishment as another whose motives (according to National Socialistic anticipation) acted against the peoples.

Damit war von vornherein ausgesprochen, daß nationalsozialistisches »Recht« sich der wesensbestimmenden Anforderung der Gerechtigkeit, der gleichen Behandlung des Gleichen, zu entziehen gewillt war. Infolgedessen entbehrt es insoweit überhaupt der Rechtsnatur, ist nicht etwa unrichtiges Recht, sondern überhaupt kein Recht. Das gilt insbesondere von den Bestimmungen, durch welche die nationalsozialistische Partei entgegen dem Teilcharakter jeder Partei die Totalität des Staates für sich beanspruchte. Der Rechtscharakter fehlt weiter allen jenen Gesetzen, die Menschen als Untermenschen behandelten und ihnen die Menschenrechte versagten. Ohne Rechtscharakter sind auch alle jene Strafdrohungen, die ohne Rücksicht auf die unterschiedliche Schwere der Verbrechen, nur geleitet von momentanen Abschreckungsbedürfnissen, Straftaten verschiedenster Schwere mit der gleichen Strafe, häufig mit der Todesstrafe, bedrohten. Alles das sind nur Beispiele gesetzlichen Unrechts.

Therewith it was pronounced from the first, that National Socialistic »law« was intended to abscond from the constituting requirements of Justice and equal treatment of equals. Consequently insofar it generally lacks quality of law, not even incorrect law, but no law at all. In particular this is effective for those regulations, in which the National Socialistic party which, in contradiction to the particulate character of every political party, claimed totality of state for itself. Furthermore the quality of law is absent in all laws which treat humans as subhuman beings and deny human rights. Also without quality of law, are those threats of punishments which are made irrespectively of the severity of a crime, only guided by the desideratum to deter crimes of most different severity with the same threat of punishment, mostly with capital punishment. All these are only examples of statutory lawlessness.

Es darf nicht verkannt werden - gerade nach den Erlebnissen jener zwölf Jahre -, welche furchtbaren Gefahren für die Rechtssicherheit der Begriff des »gesetzlichen Unrechts«, die Leugnung der Rechtsnatur positiver Gesetze mit sich bringen kann. Wir müssen hoffen, daß ein solches Unrecht eine einmalige Verirrung und Verwirrung des deutschen Volkes bleiben werde, aber für alle möglichen Fälle haben wir uns durch die grundsätzliche Überwindung des Positivismus, der jegliche Abwehrfähigkeit gegen den Mißbrauch nationalsozialistischer Gesetzgebung entkräftete, gegen die Wiederkehr eines solchen Unrechtsstaates zu wappnen.

It must not be misconceived – particularly after the experiences of that twelve years – what terrible dangers to stability of law can be brought about through the concept of »statutory lawlessness«, the denial of quality of law of positive laws. We must hope, that such lawlessness, remains a unique confusion and confusion of the German peoples, but for all possible cases we have to be prepared against the return of such a lawless state, by on principle overcoming positivism, which is disabling all defense against abuse of National Socialistic legislation.

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